Was ist „der volle Atem“ im Yoga?

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Im Pranayama – das ist die Atempraxis aus dem Yoga – gibt es viele tolle Übungen und eine davon ist „der volle Atem“. In diesem Beitrag stelle ich dir diese yogische Atemübung genauer vor. Außerdem findest du hier auch eine praktische Anleitung, mit der du direkt in die Umsetzung kommen kannst. Viel Spaß beim Lesen und Üben!

Voller Atem – die vollständige yogische Atmung

„Der volle Atem“ – Dirga Pranayama – ist eine grundlegende Atemübung im Yoga. Manchmal wird sie auch „die dreiteilige Atmung“ genannt, da sie drei Abschnitten des Oberkörpers anspricht – Unterbauch, Brustkorb und oberer Brustraum – und dabei alle Lungenbereiche sanft in die Atmung mit einbezieht.

Diese Übung versorgt das gesamte System mit Prana, der essentiellen Lebensenergie, und nährt Körper und Geist gleichermaßen. Sie hilft, die Lungenfunktion zu verbessern, Stress zu lösen, den Geist zu klären und das parasympathische Nervensystem, also den Teil unseres vegetativen Nervensystems, der für Ruhe und Regeneration zuständig ist, zu aktivieren. So wird durch das Üben der dreiteiligen Atmung ein Zustand von innerer Gelassenheit, Ausgeglichenheit und Vitalität gefördert.

Der volle Atem wirkt nicht nur auf Körper und Geist, sondern auch auf die feinen energetischen Ebenen. Durch das bewusste Atmen in den Unterbauch entsteht ein Gefühl von Erdung und Stabilität. Wir kommen bei uns selbst an. Durch das Atmen in den Brustkorb eröffnet sich ein Zugang zum Raum des Herzens. Hier kultivieren wir Weite, Leichtigkeit und Verbundenheit. Und durch das Atmen in den oberen Brustbereich, vlt sogar bis leicht in die Schultern hinein, richten wir uns innerlich auf. Wir finden Klarheit und Präsenz.

So verbindet diese Atemübung die Qualitäten von Tiefe und Verwurzelung mit Weite und Aufrichtung. Sie hilft dabei, Energieblockaden zu lösen und den Fluss von Prana (Lebensenergie) zu harmonisieren, damit wir uns insgesamt ausgeglichener, lebendiger und präsenter fühlen können.

Ablauf der Übung

Der volle yogische Atem beginnt mit einer tiefen, fließenden Einatmung, die drei Bereiche des Oberkörpers nacheinander füllt:

  1. Unterbauch – Zuerst strömt der Atem tief in den Bauchraum – dabei dehnt sich die Bauchdecke aus.
  2. Brustkorb – Danach weitet der Atem den mittleren Bereich, hebt dabei das Zwerchfell und öffnet die Rippen.
  3. Oberer Brustraum – Schließlich erreicht die Einatmung Herz, Brustbein, Schultern und den oberen Rücken.

Danach folgt eine langsame und sanfte Ausatmung, die in umgekehrter Reihenfolge diese drei Bereiche wieder leert:

  1. Oberer Brustraum – Zuerst entspannt sich der obere Brustkorb
  2. Brustkorb – Dann sinken die Rippen zurück
  3. Unterbauch – Zuletzt zieht sich der Unterbauch sanft nach innen.

Ein Durchgang besteht also aus einer vollständigen Ein- und Ausatmung. Beide sollen möglichst mühelos, ganz ohne Anstrengung fließen, sodass Ein- und Ausatmung als ein gesamter harmonischer Atemzug erlebt werden.

Gerade zu Beginn braucht es oft Geduld und eben Übung, bis das bewusste Lenken des Atems gelingt und sich ein entspannter Rhythmus einstellt. Nicht umsonst wird Pranayama eine „Praxis“ genannt. Aber das Dranbleiben lohnt sich. Durch das Üben der dreiteiligen Atmung wirst du vermutlich zunehmend klarer, wacher und zugleich entspannter sein. Vielleicht nimmst du mehr Weite im Brustraum und Entspannung im Bauch wahr oder ein Gefühl von innerer Ruhe und Ausgeglichenheit stellt sich ein.

Am wirkungsvollsten ist diese Atempraxis, wenn sie – du ahnst es schon – genau 😉 – wenn sie regelmäßig ausgeführt wird – idealerweise täglich. Starte mit 3-5 Minuten und erweitere deine Übungspraxis nach und nach auf 10-15 Minuten.

Schritt-für-Schritt-Anleitung

Während der Übung sollten Ein- und Ausatmung möglichst natürlich fließen. Auch wenn du durchaus für einen Moment in der Atemfülle und in der Atemleere, also am Anfang und Ende deiner Atemzüge, verweilen kannst, so achte darauf, dass du den Atem hier nicht krampfhaft festhältst, sondern erlaube, dass sich deine Einatmung natürlich vollendet, bevor sie in die Ausatmung übergeht – und umgekehrt. Die Pausen ergeben sich eher ganz von selbst, als dass sie „gemacht“ werden. Das kommt erst später mit deutlich fortgeschrittener Übungspraxis 😉

Position finden und Ankommen

Finde ein Plätzchen, an dem du während des Übens ungestört sein kannst. Setze oder stelle dich bequem hin oder lege dich ganz entspannt auf den Rücken – so wie es für dich am angenehmsten ist bzw wie es der Ort, an dem du dich befindest, zulässt. Solltest du sitzen oder stehen, dann ist deine Wirbelsäule idealerweise aufgerichtet – muss aber nicht – Hauptsache dein Bauch wird beim Atmen nicht unnötig eingeklemmt.

Schließe sanft die Augen, wenn das für dich ok ist, und lasse deinen Atem durch die Nase ganz natürlich ein- und ausfließen. Beobachte, wie dein Atem hier und jetzt ganz von selbst kommt und geht. Du musst nichts bewerten, brauchst auch nichts zu verändern, sondern nimm für einen Moment einfach nur wahr und beobachte, wie dein Atem durch die Nase ein- und ausströmt…

Und wann immer du bereit bist, beginne mit deiner nächsten Einatmung mit der Übung:

Einatmung in drei Stufen

1 – Atme langsam und bewusst in den Unterbauch. Spüre, wie sich die Bauchdecke dabei hebt.
2 – Lass den Atem weiter nach oben steigen, sodass Zwerchfell und Rippenbögen sich dadurch weiten – vlt auch leicht zu den Seiten.
3 – Fülle schließlich den oberen Brustraum. Nimm wahr, wie sich Brustbein und Schlüsselbeine sanft heben – vlt auch ganz leicht die Schultern.

Verweile eventuell für einen Moment in der Atemfülle, wenn das für dich angenehm ist, und gehe dann über in die Ausatmung…

Ausatmung in drei Stufen

1 – Leere zuerst den oberen Brustraum. Spüre, wie sich dabei Schultern, Schlüsselbeine und Brustbein entspannen.
2 – Dann ist der Brustkorb an der Reihe. Nimm wahr, wie dabei die Rippenbögen mehr und mehr absinken.
3 – Und leere schließlich noch den Unterbauch, indem du den Bauchnabel sanft nach innen Richtung Wirbelsäule ziehst.

Verweile eventuell für einen Moment in der Atemleere, wenn das für dich angenehm ist, und wenn der Einatem kommt, starte in die nächste Runde.

Abschluss der Übung

Wiederhole diesen Zyklus für mehrere Runden. Du kannst bis zu 15 Minuten üben, oder so lang es dir angenehm ist. Danach kehre zu deinem natürlichen Atem zurück und nimm dir einen Moment, um die Wirkung wahrzunehmen und in Ruhe nachzuspüren.

Wichtige Hinweise für deine Übungspraxis

  • Sanft bleiben: Atme niemals mit Kraft oder Druck. Der volle Atem ist keine „Hochleistungsübung“, sondern eine Möglichkeit, dich mit dir selbst zu verbinden.
  • Kein Festhalten: Sowohl Ein- als auch Ausatmung sollen fließend sein. Vermeide es, die Luft bewusst anzuhalten oder zu „pressen“. Auch die mehr oder weniger ausgeprägten Pause nach dem Einatmen und nach dem Ausatmen entstehen auf natürliche Weise.
  • Individuelles Tempo: Finde deinen eigenen Rhythmus. Manche atmen langsamer, manche schneller – beides ist in Ordnung, solange der Atem ruhig und gleichmäßig bleibt.
  • Körperliche Signale beachten: Falls Schwindel, Unruhe oder Beklemmung auftreten, kehre zum natürlichen Atem zurück. Das ist völlig normal, besonders wenn die Übung neu ist.
  • Regelmäßigkeit vor Länge: Lieber täglich ein paar Minuten sanft üben, als selten und dafür zu intensiv. Mit der Zeit verlängert sich die Atemtiefe ganz von selbst.
  • Lebensumstände berücksichtigen: Menschen mit akuten Atemwegsproblemen, Herzbeschwerden oder in der Schwangerschaft sollten vorher Rücksprache mit einem Arzt oder Therapeuten halten und die Praxis ggf. anpassen.

Ausblick für Anfänger und Fortgeschrittene

Zu Beginn empfehle ich, aus der dreiteiligen Atmung eine formelle Übungspraxis zu machen. Mit „formell“ meine ich, die Übung ganz bewusst zunächst für sich genommen zu betrachten, dir also bewusst Zeit und Raum zu nehmen um ganz gezielt den vollen Atem zu üben und deine Erfahrungen damit zu machen. Du könntest dich zB für den Zeitraum von zwei Wochen, oder für wie lang auch immer du möchtest, täglich hinsetzen und den vollen Atem üben. Hier könntest du mit 2-5 Minuten anfangen und langsam auf 10-15 Minuten steigern. Und dann schaust du einfach, was passiert, wie du dich fühlst und was du wahrnimmst – beim Üben und auch in der Zeit dazwischen. Du brauchst hier auch noch nicht auf die Länge der Atemzüge zu achten, sondern lass den Atem so natürlich wie möglich fließen. Das gleiche gilt auch für die eventuellen Pausen zwischen Ein- und Ausatmung sowie zwischen Aus- und Einatmung. Wenn sie von selber entstehen, gut – und wenn nicht, dann auch gut 😉 Wie gesagt: Lass den Ein- und Ausatmen und eventuelle Pausen dazwischen so natürlich und entspannt wie möglich kommen und gehen!

Wenn dir auf diese Weise der volle Atem mit zunehmender Übung vertrauter geworden bist, kannst du anfangen, diese Form des Atmens in deine Yogapraxis zu integrieren, indem du während einzelner Asanas oder auch in den Pausen dazwischen bewusst einige Atemzüge des vollen Atems einbaust.

Nach und nach kannst du diese Atemübung weiter verfeinern und vertiefen, indem du beginnst die Länge der Ein- und Ausatmung zu verändern, ebenso die Länge der Pausen in der Atemfülle und Atemlehre. Auf diese Weise kannst du sehr gezielt Einfluss darauf nehmen, ob die Übung eine eher aktivierende, ausgleichende oder beruhigende Wirkung zeigt.

Letztlich kannst du den vollen Atem auch mehr und mehr in deinen ganz normalen Alltag einfließen lassen. Du kannst in Bus oder Bahn oder im Auto üben, beim Putzen, in der Warteschlange, während eines Meetings oder abends beim Fernsehen – immer dann, wenn du mit dir in Verbindung sein und dich neu zentrieren möchtest. Mein Lieblingsplatz um solche Übungen immer dann in meinen Alltag einbauen zu können, wenn ich sie auch wirklich brauche, ist übrigens das stille Örtchen, sprich: das Klo 😉

Übrigens

Wenn du Lust auf eine Audioanleitung hast, dann schreibs mir gerne in die Kommentare – vlt nehme ich die dann noch auf 😉


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