Was ist der Unterschied zwischen Tagebuchschreiben und Journaling?

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Viele Menschen nutzen die Bezeichnungen Tagebuchschreiben und Journaling synonym. Ich meistens auch. Lange Zeit habe ich gedacht, dass es sich dabei einfach um einen Anglizismus handelt. Ich bin davon ausgegangen, dass wir für das deutsche Wort Tagebuchschreiben einfach die englische Bezeichnung Journaling übernommen haben. Klar, es gibt im Englischen noch das Wort Diary. Das kommt unserem deutschen Tagebuch gleich. Ist ein Journal nicht einfach nur eine modernere Bezeichnung für das gute alte Diary/Tagebuch, meint aber im Grunde das gleiche? Und wenn es dann doch im Kern was anderes bedeutet, was genau ist dann der Unterschied zwischen Tagebuchschreiben und Journaling?

Auf einen ersten Blick könnte man davon ausgehen, dass man in einem Tagebuch eher äußere Ereignisse schriftlich sammelt. In einem Journal durchleutet man hingegen mehr das innere Erleben von bestimmten Erfahrungen. Auch wenn das Journaling, das ich heute betreibe, wenig mit dem Tagebuchschreiben gemeinsam hat, das ich als junges Mädchen und Jugendliche praktizierte, so habe ich trotzdem auch damals schon nicht nur äußere Geschehnisse in meinem Tagebuch festgehalten, sondern ich habe mich schreibend auch meinen Gefühlen zugewandt und spätestens als Jugendliche auch über meine Verhaltensmuster und inneren Erlebniswelten reflektiert. War ich damals also schon mit Journaling beschäftigt? Nach wie vor bezeichne ich meine früheren Schreibaktivitäten nicht als Journaling sondern als Tagebuchschreiben. Und das, was ich heute praktiziere, ist ganz klar Journaling.

Ist Journaling vlt einfach nur eine „erwachsenere“ Form des Tagebuchschreibens, im Wesentlichen aber das gleiche? Wo konkret liegen dann die Gemeinsamkeiten? Und wenn Journaling doch was anderes ist als Tagebuchschreiben, was genau macht den Unterschied aus? Ab wann wird Tagebuchschreiben zu Journaling? Damit beschäftige ich mich in diesem Blogbeitrag…

Was ist Journaling?

eine Hand mit einem Stift beim Journaling oder Tagebuchschreiben

Der New Yorker Psychotherapeut Dr Ira Progoff gilt in gewisser Weise als der Vorreiter des Journaling. Hier wird dann auch sehr schnell deutlich, dass die Wurzeln des Journaling im Grunde in der Schreibtherapie zu finden sind. Dr Ira Progoff beobachtete in seiner Praxis, dass die Klienten, die sich neben ihrer regulären Therapie auch noch schriftlich mit ihren Gedanken und Gefühlen beschäftigten, viel schneller traumatische Erfahrungen verarbeiteten und Klarheit in ihren Gedanken und Gefühlen, sowie Wünschen und Bedürfnissen entwickelten, als die Klienten, die sich nicht therapiebegleitend schriftlich zum Ausdruck brachten.

Auf der Basis dieser Beobachtungen und weiterer Forschungen entwickelte er „The Intensive Journal Method„, bei der Schreiben gezielt und bewusst als Tool zur Selbstreflexion und persönlichen Weiterentwicklung eingesetzt wird. Er entwickelte ein passendes Workshop-Konzept und in diesem Rahmen kann im Grunde jeder diese Methode lernen. Im Laufe der 70er Jahre wurde seine Methode zunächst immer häufiger zur „Seelsorge“ in Gefängnissen, sozialen Einrichtungen sowie in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen eingesetzt und fand dann auch bei der „breiten Masse“ immer mehr Anklang und Verwendung. Letzteres besonders auch nochmal durch sein Buch „At a Journal Workshop“.

das Buch At a Journal Workshop von Ira Progoff über Tagebuchschreiben bzw Journaling

In Amerika ist Journaling seit Jahrzehnten relativ weit verbreitet. Auch bei uns ist es seit einigen Jahren gefühlt in aller Munde, bzw Hände. Was ist nun dieses Journaling? Ein Journal dient dazu, über besondere Lebensaspekte nochmals tiefergehend zu reflektieren. Ebenso um Ideen, Meinungen und Erfahrungen zu bestimmten Themen festzuhalten und diese in all ihren Facetten schriftlich zu erforschen. Zu diesem Zweck kann ein Journal durchaus täglich genutzt werden. Die Einträge sind aber inhaltlich, selbst wenn sie datiert werden, nicht unbedingt an ein Datum gebunden. Sie können sehr flexibel, fast schon experimentell gehandhabt werden in Bezug auf Inhalt, Themen sowie Art und Häufigkeit der Nutzung.

Der Begriff Journaling umfasst verschiedene Schreibtechniken wie zB Automatisches Schreiben. Auch Schreibimpulse in Form von Fragen, Satzanfängen oder Bildmaterial gehören dazu. Diese werden eingesetzt um sich näher mit den eigenen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen. Es geht darum sich selbst, das eigene Handeln und Erleben reflektierend zu durchdringen um sich selber besser zu verstehen. Journaling wird eingesetzt um Klarheit und Struktur im Innen und Außen zu entwickeln, die eigenen Ressourcen aufzuspüren, Herausforderungen zu meisten, Dankbarkeit, Zufriedenheit und Achtsamkeit zu kultivieren und Ziele zu erreichen um letztlich persönlich zu wachsen. Es kann dazu beitragen, kreatives Denken zu aktivieren und Lösungen für persönliche Konflikte und Probleme zu entwickeln, weil Journaling das Bewusstsein für die eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster schärft. Journaling ist im Grunde Persönlichkeitsentwicklung mit Stift auf Papier!

Was ist Tagebuchschreiben?

eine Frau in Jeans sitzt auf einer Couch zum Journaling oder Tagebuchschreiben

Wenn ich an den Begriff Tagebuchschreiben denke, fällt mir als erstes das weltbekannte Tagebuch der Anne Frank ein. Für die jugendliche Anne wurde ihr Tagebuch zu einer Art besten Freundin. Sie verfasste ihre Einträge in Briefform an ein imaginäres Mädchen namens Kitty. Ihr vertraute sie schreibend alles an, was um sie herum geschah, was in ihr vorging und was sie bewegte. In der äußeren Beengtheit des Unterschlupfes im Amsterdamer Hinterhaus, in dem sie sich mit ihrer Familie und noch einer weiteren Familie fast zwei Jahre lang auf sehr engem Raum vor den Nazis versteckte, stellt das Tagebuch für Anne Frank einen inneren Freiraum dar, in dem sie zwar auch sehr detailliert von den täglichen Routinen, Ereignissen und Konflikten berichtete, aber genauso auch ihre sehr persönlichen Gefühle zum Ausdruck brachte und dadurch Halt und Erleichterung in einer unfassbar schweren Zeit fand.

Ebenso bekannt ist das Tagebuch des Engländers Samuel Pepys (1633-1703). Überliefert sind Pepys´ Tagebücher, die er in der Zeit von 1660 bis 1669 führte. Seine Aufzeichnungen zählen zur wichtigsten Chronik des Übergangs von der Feudalherrschaft zur Moderne, die neben bedeutendem Zeitgeschehen im London des ausgehenden 17. Jahrhunderts vor allem auch einen sehr persönlichen Blick auf den damaligen Alltag und einen entsprechenden Einblick in die Innenwelt eines Stadtmenschen jener Zeit bietet.

Bei dem Begriff Tagebuch denke ich auch sofort an die Logbücher aus der Seefahrt a la Christoph Kolumbus (15. Jahrhundert). Und an die Logbücher von James Cook (18. Jahrhundert). In die gleiche Sparte gehören sicherlich auch die Expeditionstagebücher a la Shackleton oder Amundsen. Ein Großteil der Inhalte dieser Werke besteht zwar aus der Dokumentation aller Vorkommnisse an Bord bzw von unterwegs anhand entsprechend datierter Einträge. Interessanterweise geht aber auch schon diese Art Tagebuch über das bloße notieren von Zahlen, Daten, Fakten hinaus. Die Reisedokumentation wurde oftmals durch persönliche Eindrücke und die Beschreibung von Stimmungen und inneren Befindlichkeiten ergänzt. Genau das macht sie bis heute so wertvoll.

Viele bekannte Autoren nutzen neben ihrem schriftstellerischen Hauptwerk das Tagebuch als kreatives Ausdrucksmittel. Bekannt sind in diesem Zusammenhang sicherlich die Tagebücher z. B. von Anais Nin, Franz Kafka, Thomas Mann oder Virginia Woolf, um nur einige zu nennen. Es liegt auf der Hand, dass es diesen Werken nicht gerecht werden würde, sie auf das bloße Festhalten von Erlebnissen zu reduzieren. Es sind wichtige Zeugnisse der jeweiligen Zeit und individueller künstlerischer Schaffensprozesse. Nicht nur was eventuelle Zahlen, Daten, Fakten angeht, sondern vielmehr die innere Erlebniswelt des Schreibenden betreffend.

Besonders Anais Nin, die im Laufe ihres Lebens mehrere Romane und Erzählungen verfasst hat, ist aber vor allem für ihre Tagebücher bekannt, die sie über 60 Jahre lang führte (ca 1914 – 1974) und die ihr eigentliches schriftstellerisches Werk stark geprägt haben. Inhaltlich bewegte sie sich von Beschreibungen ihres Alltags über die Beobachtungen und das entsprechende Verfassen schriftlichen Skizzen der Menschen aus ihrem Umfeld bis hin zu Schilderungen von persönlichen Traumwelten, der schriftlichen Auseinandersetzung mit ihrem Unbewussten und dem Schreiben als Spielraum erotischer Offenheit. Ihre Tagebücher haben deutlich den Charakter eines inneren Dialoges und Erkundungsprozesses. Das bringt ihre Art des Schreibens dem Journaling, so wie wir es heute kennen, sehr nahe.

Was ist denn nun Tagebuchschreiben?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Tagebuch dazu dient Momente, Begebenheiten und Erinnerungen aus den vielfältigsten (Lebens)Bereichen festzuhalten. Dabei können Tagebucheinträge durchaus einen sehr persönlichen Blick auf das Geschehene enthalten und in durchaus reflektierender Weise einen Raum für die Innenwelt des Verfassers öffnen, die sich im Schreiben entfaltet. In einem Tagebuch können zum einen schöne Momente festgehalten. Zum anderen kann es als Ventil und Orientierungshilfe in schwierigen Zeiten dienen.

Journaling und Tagebuchschreiben im Vergleich

eine Frau sitzt mit einer Tasse Cappuccino an einem Tisch zum Journaling oder Tagebuchschreiben

Der Begriff des Journaling ist noch relativ jung. Im Gegensatz dazu hat das Tagebuchschreiben eine längere Tradition. Sowohl Tagebuchschreiben als auch Journaling dienen dazu, Geschehnisse und Erfahrungen neben persönlichem Empfinden schriftlich festzuhalten. Bei beiden Methoden nimmt man im besten Fall einen Stift zur Hand und schreibt in ein Heft oder Buch über das, was geschehen ist, einen beschäftigt und bewegt.

Der Schreibende tritt in einen Dialog mit sich selbst und der eigenen Innenwelt. Das dient dazu, die eigene Gedanken und Gefühle auszudrücken und zu sortieren sowie innere Prozesse greifbarer zu machen. Das Schreiben dient als Ventil und hilft dabei, schwierige Emotionen zu verarbeiten und Stress zu reduzieren. Es macht den Kopf frei und schafft Klarheit. Zudem bietet es die Möglichkeit die persönliche Entwicklung zu verfolgen und sich selber und die Umstände besser kennenzulernen. Durch das auf Papier bringen der eigenen Gedanken und Gefühle ist es möglich, das eigene Innenleben mit Abstand zu betrachten. Auf diesem Wege können bestimmter Aspekte und Zusammenhänge überhaupt erst bewusst werden. Das Ganze findet zudem im Journal oder Tagebuch als einem persönlichen und geschützten Schreibraum statt. Dadurch kann das Schreiben stattfinden frei davon Angst vor Urteilen, Kritik oder Ablehnung haben zu müssen.

In einem klassischen Tagebuch hält man dabei in erster Linie die aktuellen Ereignisse fest. Man reflektiert auch durchaus die eigenen diesbezüglichen Gedanken und Gefühle. Beim Journaling hingegen geht es gezielter um die schriftliche Selbstreflexion, Erkenntnisgewinnung und persönliche Weiterentwicklung. Diese kann sich zwar auf konkrete Begebenheiten beziehen, muss aber nicht unbedingt an auslösende aktuelle Ereignisse geknüpft sein. Journaling ist nicht nur ein einfaches Aufzeichnen von Ereignissen, Gedanken und Gefühlen, sondern es ermöglicht eine tiefere Ebene der Selbstreflexion und des Selbstausdrucks. Beim Journaling werden zwar auch konkrete Erlebnisse schriftlich festgehalten, der Fokus liegt dabei aber eher darauf, innere Ressourcen zu erschließen und die persönliche Weiterentwicklung zu fördern sowie das Bewusstsein dahingehend zu erweitern, schreibend einen Zugang zu Gefühlen und Gedanken zu erlangen, und Verhaltensmuster zu erkennen, die im Alltag sonst eher unbewusst ablaufen.

In einem Tagebuch geht es eher um das „wer, was, wo und wann“ des täglichen Lebens, während ein Journal den Raum bietet um in bestimmte Themengebiete nochmal tiefer einzutauchen. Gerne werden in diesem Zusammenhang auch Techniken des kreativen Schreibens eingesetzt. Tagebuchschreiben ist ideal um (tägliche) Gedanken, Erlebnisse, Begebenheiten und Gefühle zu dokumentieren, während Journaling eher dazu einlädt gezielter auf spezielle Themen und einzelne Aspekte der persönlichen Identität einzugehen und diese schreibend zu vertiefen bzw zu erforschen, durchaus losgelöst vom Alltagsgeschehen.

Was ist nun der Unterschied zwischen Tagebuchschreiben und Journaling?

eine Frau sitzt auf einem Bett zum Tagebuchschreiben oder Journaing

Die Begriffe Journaling und Tagebuchschreiben werden oft synonym verwendet. Bei genauerer Betrachtung gibt es zwischen Tagebuchschreiben und Journaling sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede, auch wenn die Grenzen zwischen beiden Schreibmethoden fließend sind.

Mit Tagebuchschreiben wird normalerweise die Dokumentation von täglichen Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen in mehr oder weniger chronologischer Reihenfolge bezeichnet. Diese Art des Schreibens kann durchaus auch als emotionales Ventil dienen um schreibend aktuelle Gefühle und Spannungen wie Frust, Trauer oder Wut loszuwerden. Für den Inhalt gibt es im Grunde keine festen Regeln oder Vorgaben.

Mit Journaling wird eine Form des Schreibens bezeichnet, die der des Tagebuchschreibens sehr ähnlich sein kann, im Kern aber über das bloße Niederschreiben von Ereignissen und das Reflektieren der damit zusammenhängenden Gedanken und Gefühle hinausgeht. Journaling umfasst eine breitere Palette an Schreibpraktiken, die verschiedenste Formen haben können und in erster Linie themenbezogen, explorativ oder reflektierend eingesetzt werden. Der Aspekt der Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung steht beim Journaling im Vordergrund bzw ist durchaus auch erklärtes Ziel.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Tagebuchschreiben eher auf das schriftliche Festhalten und Reflektieren von meist aktuellen persönlichen Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen ausgerichtet ist, während mit Journaling insgesamt eine freiere und explorativere Schreibpraxis bezeichnet wird, die oftmals mit einem Wunsch nach tiefer Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung verbunden ist. Im Grunde gibt es aber weder für das Tagebuchschreiben noch für das Journaling spezifische Regeln. Somit kann sich sowohl das Tagebuchschreiben als auch das Journaling jeder auf seine eigene Weise zu eigen machen. In diesem Zusammenhang möchte ich ganz besonders nochmal Anais Nin nennen, die sich meiner Meinung nach mit ihren Tagebüchern genau in diesem Zwischenreich zwischen Diary/Tagebuch schreiben und Journaling bewegte und diese Art des Schreibens auf ihre ganz eigene Art und Weise nutzte – ihr Leben lang!

In jedem Fall ist mehr oder weniger regelmäßiges Schreiben eine kraftvolle Methode zur Selbstreflexion, persönlichen Weiterentwicklung und des kreativen Ausdrucks – und macht zudem auch noch sehr viel Spaß! 🙂


Wie siehst du das denn? Schreibst du in ein Tagebuch oder Journal? Wie ist das für dich?

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Marita

    Dein Blog ist die reinste Datenbank. Unglaublich was Du alles weißt, recherchierst und es uns leicht und lesefertig präsentierst. Sehr cool. Tatsächlich hänge ich irgendwo zwischen Tagebuchschreiben und Journaling und ich verwende die Begriffe immer im Wechsel, weil ich gar nicht so recht weiß, wie ich das, was ich da tue, eigentlich benennen soll. Selbstreflexion, Erkenntnisgewinnung, Persönlichkeitsentwicklung, Biographiearbeit… die Liste ist unendlich lang und ich liebe das Schreiben genauso wie Du 🙂

    Danke für den wertvollen BEitrag.

    Gruß, Marita

    1. Iris

      hey marita, wow, vielen dank für dein sehr wertschätzendes feedback! das bedeutet mir sehr viel! da geht es dir wie mir, ich hänge auch irgendwo genau dazwischen, mal mehr da und dann mal wieder mehr da! letztlcich ist ja aber auch eigentlich egal wie wir es bennenen, hauptsache schreiben! hahaha :))) lg, iris

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