Die Rubrik Eselsohren erscheint fast jeden Monat in meinem Monatsrückblick. Darin teile ich, was ich in dem jeweiligen Monat gelesen habe und wie es mir gefallen hat. Fachbücher lasse ich dabei außen vor. In diesem Beitrag trage ich nun alle Eselsohren des gesamten Jahres 2025 zusammen. Ich hoffe, du findest darin Inspiration für dich für neue Lektüre. Los gehts!
Buchreihe 1 – Alle Toten fliegen hoch (6 Teile)
In diesem Jahr habe ich die 6teilige Romanreihe von Joachim Meyerhoff gelesen. What a ride! Im Folgenden gehe ich erst auf jeden der 6 Bände einzeln ein und dann gibts noch ein kurzes Gesamtfazit zur Reihe.
Alle Toten fliegen hoch – Amerika (Band 1 von 6) / von Joachim Meyerhoff
Ich weiß gar nicht, warum ich erst jetzt angefangen habe Joachim Meyerhoff zu lesen. Wie konnte mir das bisher nur entgehen. Ich bin daher umso mehr dankbar, dass mir in einer Woche gleich zwei Personen völlig unabhängig voneinander von diesem wunderbaren Autoren, der ja eigentlich Schauspieler ist, erzählt haben. Sowas nehme ich immer als „Zeichen“ auf die ich einfach höre und auch diesmal hat es sich bestätigt, dass das in den meisten Fällen auf interessante Wege führt.
„Alle Toten fliegen hoch – Amerika“ ist das erste Band eines sechsteiligen Zyklus von Joachim Meyerhoff. Ich liebe seine Sprache! Lakonisch und scharf beobachtend, dabei gleichzeitig liebevoll und voller Humor und Selbstironie. Ich hab mich teilweise kringelig gelacht – um dann im nächsten Moment direkt wieder staunend innezuhalten, weil mitten zwischen all dem Komischen plötzlich diese entwaffnende Tiefe aufblitzte – und dies so unglaublich klug und wohl fomuliert, dass es für mich ein Lesegenuss par exellence war, durch und durch.
Grob gesagt geht es in diesem ersten Band um den jungen Teenager Joachim, der raus will aus der deutschen Kleinstadt. So wird er als Austauschschüler in die amerikanische Provinz nach Laramie in Wyoming katapultiert, mit Blick auf die Rocky Mountains. Als Leser folgen wir ihm dabei, wie er ein Jahr lang so herrlich ungeschickt, ehrlich, suchend und sensibel durch dieses Leben fern der Heimat stolpert. Er berichtet von Erlebnissen mit seiner Gastfamilie, von seinem Alltag in der High School, von seinen Fortschritten beim Basketball, von Partys, Freundschaften und Ausflügen in die Umgebung. Ein plötzlicher und unerwarteter familiärer Schicksalsschlag in seiner deutschen Heimat reißt ihn aus seinem amerikanischen Abenteuer, rüttelt an seiner Welt und zieht sich, trotz erneuter Rückkehr nach Amerika, fortan wie ein feiner, ferner Schatten durch ebenso durch sein Leben wie auch durch den Text – nie pathetisch, aber spürbar. Und vielleicht gerade deshalb wirken all die komischen Szenen davor und danach so feinfühlig und „besonders“. Ich wusste wirklich oft nicht ob ich nun lachen oder weinen soll/muss und meistens wurde es eine Mischung aus beidem.
Was das Buch für mich besonders macht, ist die Mischung aus skurriler Situationskomik, kluger Selbstbeobachtung und zartem Ernst und unglaublicher Tiefe ohne dabei in Schwermut zu verfallen. Nichts wird zu sehr auf die Schippe genommen, nichts wird dramatisiert. Es ist einfach wie es ist – das Leben – schrullig, peinlich, widersprüchlich, wunderschön und unendlich kostbar.
Joachim Meyerhoff ist ein hervorragender Erzähler und wahrer Meister autobiografischen Schreibens. Ich bin mittlerweile schon beim zweiten Band (Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war) und freue mich tierisch, dass da noch vier weitere auf mich warten. Ein echter Hochgenuss und daher eine absolute Leseempfehlung!
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war (Band 2 von 6) / von Joachim Meyerhoff
Nach dem ersten Roman von Joachim Meyerhoff war für mich klar: Ich will mehr davon. Und was soll ich sagen: der zweite Teil hat meine Begeisterung noch weiter gesteigert!
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist in der Reihenfolge der bislang veröffentlichten 6 Bücher zwar Band 2, aber zeitlich liegt es VOR Band 1. Zuerst dachte ich: Mist, hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mit Band 2 angefangen. Jetzt denke ich: Nee, is schon genau gut so. Denn dadurch, dass ich als Leser von Band 1 schon weiß, was in der Jugend passieren wird, der kleine Joachim in Band 2 aber natürlich noch KEINE Ahnung davon hat, was auf ihn und seine Familie zukommt, gibt dem zweiten Band nochmal eine extra Portion Tiefe.
Nur am Rande bemerkt und um die Verwirrung der zeitlichen Reihenfolge komplett zu machen: am Ende von Band 2, in dem es ja eigentlich um die Kindheit geht, bekommt der Leser einen Vorgeschmack auf die Zukunft, die zeitlich NACH der Zeit der Jugend in Band 1 liegt – also wenn Joachim schon zuhause ausgezogen ist. Lange Rede kurzer Sinn: auch wenn die ersten zwei Bände zeitlich etwas hin und her springen, macht es schon Sinn sie genau in der Reihenfolge zu lesen, wie sie erschienen sind. TROTZDEM lassen sich die Romane aber auch völlig unabhängig voneinander lesen.
Zurück zu Band 2. Diesmal geht’s mitten hinein ins Herzstück seiner Kindheit: in die Anstalt. Ja, richtig gelesen – Joachim wächst auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik auf – weil sein Vater dort Direktor ist. Und dieser Schauplatz, der eigentlich trostlos oder düster wirken könnte, wird bei Meyerhoff zu einem Ort voller absurder, liebevoller und urkomischer Geschichten.
Sprache und Schreibstil bleiben so wunderbar lakonisch und klar wie im ersten Band UND stiegern sich sogar. Zwischen all den skurrilen Begegnungen mit Patienten, den Erlebnissen mit seiner Familie und dem Auf und Ab der eigenen Gefühlswelt blitzt immer wieder diese besondere Mischung aus feiner Komik und tiefer Melancholie auf. Wieder hab ich oft geschmunzelt, einige Male laut gelacht, war ich zutiefst berührt und wieder wusste ich so manches Mal nicht, ob mir eher nach Lachen oder Weinen ist – und auch hier war es dann wieder irgendwie beides zugleich. Klingt anstrengend, ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Beim Lesen entfaltet sich neben dem sprachlichen Genuss ein wirklich reizvolles Spannungsfeld zwischen all diesen Möglichkeiten mit der Lektüre mitzugehen Wirklich sehr Speziell!
Besonders berührt hat mich, wie ehrlich und ungeschönt er von seiner Familie erzählt: vom schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, der regelmäßig in seinem Lesesessel veschwindet und streng wirkt, mit dem er aber seine ganz besonderen Momente hat. Vom Hadern und der Traurigkeit seiner Mutter, die alles daran setzt den Alltag zu meistern und ihre eigene Form von Flucht sucht. Und von den Brüdern, die ihm mal Halt geben, aber meist das Leben zur Hölle machen und den Boden unter den Füßen wegziehen. Puh, what a ride!
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist für mich noch runder, noch tiefer als der erste Band. Meyerhoff schafft es, die Brüche und Widersprüche des Lebens so zu erzählen, dass sie nicht bedrücken, sondern einen irgendwie trösten. Ich freu mich schon jetzt auf den nächsten Teil. Der liegt hier schon bereit
Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (Band 3 von 6) / von Joachim Meyerhoff
Jetzt also München. Besuch der Schauspielschule. Wohnen im Haus der Großeltern, mit eben diesen zusammen. Und Joachim Meyerhoff: wie immer mittendrin, mit seiner spitzfindigen Selbstbeobachtung und diesem Hin und Her zwischen Humor, Ironie, Wut und tiefer Trauer.
In Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke nimmt Joachim Meyerhoff den Leser mit in seinen Alltag, der in zwei parallelen Welten stattfindet: Tagsüber versucht er, sich durch den absurden Kosmos der Schauspielausbildung zu hangeln, stets begleitet von Überforderung, Staunen und chronischen Selbstzweifeln. Und abends kehrt er zurück ins großbürgerliche Haus seiner Großeltern, die für mich ganz klar das Herzstück des 3. Buches dieser bislang 6 teiligen Reihe sind. Sein Großvater – ein skurriler, trinkfreudiger Bildungsbürger, ebenso stoisch wie liebevoll, ja genau, ein spannender Widerspruch in sich. Seine Großmutter – eine bekannte Schauspielerin, scharfzüngig, exzentrisch, tief liebend und nicht minder trinkfreudig. Die beiden sind ein Ereignis! Und Meyerhoff erzählt von ihnen mit so viel Wärme, Humor und gleichzeitig einer subtilen Traurigkeit, dass ich mich beim Lesen im positivsten Sinne hin und her gerüttelt fühlte zwischen Lachen, Lese-Hochgenuss und Wehmut.
Die Schauspielschule ist in diesem Band fast so etwas wie ein Nebenschauplatz, interessant, für den Autor sicherlich prägend, und wie so oft urkomisch, trotz aller Widrigkeiten, durch die sich der Autor in dieser Phase seines Lebens hindurchquält – oder vielleicht auch gerade deshalb?!
Was das Buch ausmacht, ist die Art und Weise wie Meyerhoff seine Mitstudenten und Lehrer im Allgemeinen und seine Großeltern im Besonderen zeichnet. Wunderbar! Beim Lesen hatte ich nicht das Gefühl meine Augen über Buchstaben fließen zu lassen, sondern ich habe innerlich einen Film angeschaut. Oder, nein, nicht angeschaut – ich hab mich mittendrin gefühlt. Denn es wird wirklich eine Lücke spürbar, die sich eben nicht mehr füllen lässt – aber literarisch auf die schönstmögliche Weise durchdrungen wird – so gut schreibt und BE-schreibt der Autor. Grandios! Das ich inzwischen ein riesen Fan bin, sagte ich ja schon in vorherigen Rezensionen – und mit Band 3 dieser Reihe hat sich das nochmals vertieft! Band 4 liegt schon bereit!
Die Zweisamkeit der Einzelgänger (Band 4 von 6) / von Joachim Meyerhoff
In Die Zweisamkeit der Einzelgänger taucht Joachim Meyerhoff tief in das Thema Beziehungen ein, denn die stehen in seinem Leben, neben seinen ersten Gehversuchen als junger Schauspieler, zentral. Meyerhoff betritt dieses wunderlich-komplizierte, ebenso berauschende wie schmerzhafte Terrain zwischen Nähe und Eigenständigkeit, Bindung und Freiheitsdrang und beschreibt im Zuge dessen mehrere Liebesbeziehungen, die nacheinander (und teils nebeneinander) in sein Leben treten. Und er tut das mit dieser ihm eigenen Mischung aus entwaffnender Ehrlichkeit, Selbstironie, feinstem Humor und poetischer Klarheit. Ich hab das Buch verschlungen.
Was mich besonders berührt hat, war die Tiefe, mit der er mal wieder die Menschen um sich herum beschreibt, mit ehrlichem Blick für die Grob- udn Feinheiten und mit viel Liebe. Und wie er mal wieder sich selbst beobachtet, nicht als Opfer oder Held, sondern als Mensch, der sich nach Verbindung sehnt, aber sich selbst dabei im Weg steht. In diesem 4. Band der 6teiligen Reihe geht es ums Lieben und nicht wissen, wie, ums Bleiben und Gehen, ums Reden und Schweigen und ums Alleinsein – auch wenn man zu zweit ist.
Neben all den klugen Beobachtungen und stillen Wahrheiten bleibt natürlich auch der mir inzwischen so vertraute Meyerhoff-Humor nicht auf der Strecke, den ich nicht müde werde zu lesen. Ich hab oft laut gelacht, vor allem über seine Begegnungen mit sich selbst in diesen doch oft sehr schrägen, ebenso zarten wie rauhen, und ebenso lauten wie leisen Liebeskonstellationen. Dieser Band war für mich wieder ein Lese-Genuss, ein wahres Fest.
Hamster im hinteren Stromgebiet (Band 5 von 6) / von Joachim Meyerhoff
Im fünften Band seiner bislang sechsteiligen Reihe erzählt Joachim Meyerhoff von einem einschneidenden Ereignis in seinem Leben – im wahrsten Sinne des Wortes. Nach einem Schlaganfall findet er sich plötzlich in einer völlig neuen Realität wieder: körperlich eingeschränkt, mental orientierungslose und emotional angeschlagen. Was vorher selbstverständlich war, zeigt sich nun fragil. Der Körper gehorcht nicht mehr, und auch der Geist muss sich erst wieder sortieren.
Meyerhoff beschreibt diese Zeit mit einer unglaublichen Genauigkeit und zugleich mit feinem, manchmal bitterem Humor. Es geht um Kontrollverlust, Angst, Hilflosigkeit, aber auch um Würde, Menschlichkeit und die kleinen absurden Momente, die selbst im Krankenhausalltag entstehen. IN Rückblicken erfährt der Leser weitere Details aus seinem bisherigen Leben. Und natürlich steht auch seine ganz eigene Art, sich selbst zu beobachten wieder sehr zentral – liebevoll, spöttisch, tief ehrlich.
Besonders beeindruckt hat mich, wie subtil er die ersten Tage und Wochen nach dem Schlaganfall beschreibt: dieses Schwanken zwischen Bewusstsein und Benommenheit, das Fremdsein des eigenen Körpers, die Scham, die Wut, das Staunen. Keine großen Gesten, kein Pathos, sondern eine stillere, berührende Genauigkeit.
Ich hatte beim Lesen zwischendurch eine Pause nötig, einfach weil es mir zu viel wurde – zu nah, zu intensiv, zu körperlich spürbar – aber das ist was Gutes, zeigt es doch das schriftstellerische Können des Autors. Und die Pause wärte auch nicht lang, denn ich wollte natürlich wissen, wie es weitergeht. Und das hat sich gelohnt.
Hamster im hinteren Stromgebiet ist vielleicht nicht mein Lieblingsband der Reihe, aber ein sehr starker – gewohnt gut geschrieben, klug, eindringlich und mit dieser besonderen Meyerhoff-Mischung aus Humor, Schmerz und Staunen über sich selbst, die Menschen und das Leben. Band 6 liegt hier schon bereit 🙂
Man kann auch in die Höhe fliegen (Band 6 von 6) / von Joachim Meyerhoff
Im sechsten und bislang letzten Band seiner autobiografischen Reihe blickt Joachim Meyerhoff noch einmal zurück – und gleichzeitig sehr deutlich auf das Jetzt. Nach dem körperlichen Einschnitt des Schlaganfalls im vorherigen Buch geht es hier weniger um den Ausnahmezustand als um das Weiterleben danach: um Altern, Verletzlichkeit, familiäre Prägung und das fragile Gleichgewicht zwischen Selbstironie und Ernst.
Im Zentrum steht diesmal besonders seine Mutter. Und was für eine Figur sie ist. Klug, exzentrisch, eigenwillig, lebenshungrig – eine Frau mit Haltung, Widersprüchen und großer innerer Freiheit. Meyerhoff zeichnet sie vielschichtig und ambivalent, voller Respekt, Zärtlichkeit und auch Irritation. Keine Idealisierung, kein Abrechnen – sondern ein genaues, liebevolles Hinschauen. Für mich war das ganz klar eines der Highlights des Buches. Was für eine coole Frau.
Darüber hinaus geht, teilweise in entsprechenden Rückblicken, um Familie, um Abschiede, um Erinnerungen, um das Verhältnis zum eigenen Körper und zur eigenen Endlichkeit. Meyerhoff bleibt sich dabei treu: Er beobachtet präzise, schreibt humorvoll, manchmal scharf, manchmal zart, immer selbstreflexiv. Typisch Meyerhoff eben.
Und trotzdem:
Aus der Reihe heraus hat mich dieser Band am wenigsten gecatcht. Ich habe immer wieder Lesepausen gemacht, einige Passagen ehrlich gesagt auch im Schnelldurchlauf überflogen. Nicht, weil sie schlecht geschrieben wären – sondern weil sie sich für meinen Geschmack stellenweise etwas zäh anfühlten. Aber natürlich hab ich es zuende gelesen, weil ich wissen wollte, wie es ausgeht.
Man kann auch in die Höhe fallen ist ein würdiger Abschluss (wer weiß, vlt gehts auch irgendwann weiter?!?) dieser besonderen Reihe: klug, reflektiert, vielschichtig. Nicht mein Lieblingsband, aber ein gutes, ehrliches Buch. Und ein weiteres Mosaiksteinchen im großen Meyerhoff’schen Erzählen vom Leben, wie es eben ist: widersprüchlich, komisch, schmerzhaft und schön zugleich.
Gesamtfazit zur 6teiligen Reihe von Joachim Meyerhoff
Diese sechs Bücher zu lesen, war wie da Teilhaben an einer Lebensreise, die sich Buch für Buch entfaltet, vertieft und zusammensetzt. Was als Coming-of-Age-Geschichte beginnt, wächst sich zu einem vielschichtigen, schonungslos ehrlichen und zugleich ungemein warmherzigen Erzählen über Familie, Körper, Liebe, Verlust, Krankheit, Begehren und Vergänglichkeit aus.
Was mich über alle Bände hinweg so begeistert hat, ist Meyerhoffs Sprache: lakonisch, präzise, voller Humor und Selbstironie. Und dann plötzlich, fast unmerklich, wechselt das Erzählen immer wieder in eine Tiefe, die einen trifft. Er schafft es wie kaum ein anderer, das Komische und das Schmerzliche nebeneinander stehen zu lassen, ohne eines gegen das andere auszuspielen. Lachen und Traurigkeit schließen sich hier nicht aus. Sie gehören zusammen. Großartig!
Besonders stark ist die Reihe dort, wo Meyerhoff Menschen zeichnet: Eltern, Großeltern, Geschwister, Liebespartner:innen, Weggefährten. Und last but not least: sich selbst. Niemand wird vereinfacht, niemand geschont, niemand vorgeführt. Alles bleibt ambivalent, lebendig, widersprüchlich. Genau darin liegt für mich die große Qualität dieser Bücher: Sie erklären nichts, sie zeigen. Und lassen Raum.
Nicht jeder Band hat mich gleich stark gecatcht. Es gab Bände, die ich verschlungen habe, und andere, bei denen ich Pausen brauchte oder Passagen schneller gelesen bzw nur überflogen habe. Als Ganzes gelesen ergibt sich ein beeindruckendes literarisches Mosaik, das weit mehr ist als die Summe seiner Teile.
Am Ende dieser sechs Bände bleibt für mich vor allem eines: große Dankbarkeit fürs Mitgehen-Dürfen. Für das Vertrauen des Autors in seine Leserschaft. Für die Ehrlichkeit, die Verletzlichkeit, den Humor. Und für das Gefühl, dass hier jemand sein Leben nicht erklärt, sondern teilt.
Eine außergewöhnliche Reihe. Klug, berührend, menschlich.
Und für mich ein riesen Lesegenuss und daher eine unbedingte Leseempfehlung!!!
Buchreihe 2 – Dirty Diana (3 Teile)
Neben der besagten 6teiligen Reihe von Joachim Meyerhoff hat mich in diesem Jahr noch eine andere Buchreihe begleitet und begeistert. Diese Reihe besteht aus halb so vielen Teilen, nämlich 3 an der Zahl. Auch hier gehe ich zunächst auf jeden der 3 Bände einzeln ein und dann folgt auch hier ein Gesamtfazit zur Reihe.
Dirty Diana – Das Erwachen (Teil 1 von 3) / von Jen Besser und Shana Feste
Dirty Diana – Das Erwachen ist ein Buch, das mich überrascht hat, denn es kommt als erotischer Roman daher, ist aber so viel mehr als das! Ich würde es als ein Spiegelkabinett weiblicher Sehnsucht in Buchform bezeichnen, denn es widmet sich intensiv, sinnlich und schonungslos den unterschiedlichsten Facetten weiblichen Begehrens 🙂 Neben Lust und Sexualität, geht es vor allem auch darum, wie man sich selbst inmitten von Rollenbildern, Partnerschaft, Alltag und Sehnsucht verlieren und auch neu begegnen kann. Es geht um Identität, Angst und Scham und um die Frage, wie man sich als Frau in unserer heutigen Zeit sexuell ausleben darf und kann. Ein Roman voller Intimität, Mut und inspirierender Radikalität.
Die Hauptfigur ist Diana, eine Frau Anfang vierzig, verheiratet, Mutter, Künstlerin. Ihr Alltag ist geordnet, aber flach. Ihre Ehe ist zwar liebevoll, aber routiniert. Die partnerschaftlichen Gespräche kreisen um Organisation des Alltags und Erziehungsthemen. Den Job in der Firma ihres Schwiegervaters erledigt sie ebenso pflichtbewusst wie leidenschaftslos. Ihre künstlerische Arbeit liegt seit Jahren brach. Was sie halbwegs aufrecht hält ist der Kontakt zu ihren Freundinnen.
Durch Zufall kommt ihr eins ihrer früheren Kunstprojekte wieder in die Hände: Sie machte Tonbandaufnahmen von Frauen, die in diesen Interviews von ihren erotischen Fantasien erzählen. Ursprünglich nutzte sie die Aufnahmen als künstlerisches Material. Aber das ist lange her. Nun wird das Zuhören mehr und mehr zu einem intimen Zugang zu sich selbst – zu ihrer eigenen, verschütteten Lust. Sie beschließt, das Projekt wieder aufzunehmen. Die alten und neuen Kassetten bilden das Zentrum ihrer inneren und äußeren Auseinandersetzung mit den Themen Lust, Körper, Sehnsucht und Beziehung.
Dann ist da noch Jasper, ihre erste große Liebe – ein Mann, mit dem sie einst eine wilde, existenzielle Verbindung teilte. Die Erinnerung an ihn weckt nicht nur alte Gefühle, sondern auch die Frage: Wer war ich damals und wer bin ich heute?
Und dann ist da noch die Kunst, die als Thema im Raum steht und atmosphärisch spürbar ist: als Haltung, als Möglichkeit, als Spielfeld. Dianas Blick auf die Welt ist ein künstlerischer auch wenn sie selbst das vielleicht gerade vergessen hat. Unausgesprochen ist das der Bogen, der den Roman als Ganzes umspannt: Lust nicht nur als sexuelles, sondern auch als schöpferisches Prinzip – Kunst als ein Ausdruck von einem Hunger nach Lebendigkeit. Das holte mich beim Lesen extrem ab!
Ich mochte vieles an diesem Buch. Die Erotik, weil sie eindringlich, facettenreich und inspirierend erzählt wird, nicht nur körperlich, sondern mit Tiefgang. Die Sprache, weil sie klar und sinnlich ist, direkt, aber nicht platt, poetisch, ohne zu übertreiben. Die Figuren, weil sie ambivalent und dadurch glaubwürdig sind. Die Themen: Kunst, Körperlichkeit, Beziehungen, Begehren.
Und ich mochte vor allem auch die vielen Fragen, die überall zwischen den Zeilen mitschwingen: Wie lebt man eine Ehe weiter, wenn die Lust versiegt, wenn man sich nicht mehr begehrt fühlt, oder selbst nicht mehr begehrt? Was bedeutet Intimität? Wie verändert sich Lust über die Jahre, in einem selbst und auch im Miteinander? Wie ehrlich darf, muss, sollte man sein, mit sich und mit anderen? Und was, wenn man plötzlich etwas will, das bisher undenkbar war? In welchen Verkleidungen kommt Lust daher und welche Wege gibt es, sie zu entdecken? Und wie leben wir uns selbst darin aus? Was ist Kreativität und wie lebt man sein Künstlerdasein inmitten von all diesem Alltag?
Spannend finde ich übrigens auch den Hintergrund der Entstehung: Dirty Diana von Jen Besser und Shana Feste basiert ursprünglich auf einem gleichnamigen Podcast, mit Demi Moore in der Hauptrolle der Diana. Die Stimme der Schauspielerin, ihre Präsenz, ihre Reife prägten diesen Charakter, der im Buch noch weiter ausgefeilt und vertieft wurde, entscheidend mit. Eine Frau, die nicht jung sein will, sondern lebendig – und genau das macht sie (für mich) so faszinierend.
Und last but not least: das Buch endete gefühlt mittendrin, also mit einem tüchtigen Cliffhanger. Ich war irritiert. Die können doch all diese Fragen nicht unbeantwortet lassen, können mich mit der Story jetzt nicht hier einfach so im luftleeren Raum zurücklassen?!?! Kennste diese Leere, wenn ein gutes Buch zu Ende geht?! Das Leben ist auf einmal völlig sinnlos! Ich hab dann gegoogelt, was die beiden Autorinnen noch so geschrieben haben und entdeckte dabei – Hurrah! – dass Dirty Diana – das Erwachen – der erste Teil einer Trilogie ist! Wie geil ist das denn!?! Das war völlig an mir vorbeigegangen! Nun liegt hier Band 2 schon bereit und Band 3 erscheint am 14. Oktober. Mein Lese-Leben ist gerettet 😉
Dirty Diana – Die Reise (Band 2 von 3) / von Jen Besser und Shana Feste
Wenn der erste Band ein Aufwachen war, dann ist Band 2 ein Aufbruch. Und was für einer. Diana ist in Bewegung – nicht nur konkret auf einer Reise, sondern auch innerlich – emotional, künstlerisch, sexuell. Nach dem, was sie in Band 1 angestoßen hat, steht sie in Band 2 nun an einem Punkt, an dem ihr altes Leben nicht mehr zurückzuholen ist. Die Trennung von ihrem Mann Oliver ist vollzogen, doch sie begegnen sich weiter – als Eltern, als Menschen, als zwei, die sich einmal geliebt haben und immer noch irgendwie verbunden sind. Gemeinsam kümmern sie sich um ihre Tochter, gehen sogar zusammen zur Paartherapie. Es geht dabei nicht um Versöhnung im klassischen Sinn, sondern um Verständnis. Um das Ringen mit dem, was war, mit dem, was ist und mit dem, was vielleicht noch werden kann – oder auch nicht.
Was dabei besonders spannend ist: Wie offen sie beginnen, über ihr früheres und ihr jetziges (nicht mehr unbedingt gemeinsames) Sexleben zu sprechen. Da werden Wahrheiten ausgesprochen, die in vielen Beziehungen ungesagt bleiben. Manchmal verletzend, ja – und auch klärend. Die Fragen, die Diana sich stellt – nach Lust, nach Wahrheit, nach Identität – fordern Antworten. Diana konfrontiert nicht nur Oliver – sie konfrontiert sich selbst – mit ihrer Lust, ihrer Geschichte, ihren Widersprüchen. Die Entwicklung ihrer Figur hat mir besonders gut gefallen. Sie wird nicht „besser“, sondern widersprüchlicher und dadurch so viel echter und lebendiger. Ich hab mit ihr gehadert, mit ihr genossen, mit ihr gehofft.
Auch ihr künstlerisches Projekt, das bereits in Band 1 angedeutet wurde – das Sammeln und Erkunden erotischer Fantasien anderer Frauen – entwickelt sich weiter. Aus der Idee wird ein Prozess. Aus dem Prozess wird ein Statement. Alles greift hier sehr klug ineinander. Diana beginnt, sich selbst wieder als Künstlerin zu begreifen. Ihre Kunst wird Ausdruck dessen, was sie fühlt, was sie erlebt, was sie zu begreifen versucht. Das inspiriert mich sehr!
Und dann ist da natürlich noch Jasper….hach Jasper! Die Erinnerung an ihn. Die Gegenwart. Die Möglichkeit. Zwischen Rückblick und realer Begegnung bleibt die Verbindung zu ihm komplex und elektrisierend. Alte Lieben sind ja nicht einfach alt. Sie sind manchmal das, woran man sich auch an sich selbst erinnert. Oder sich verliert. Oder sich neu erkennt. Was ist er also? Ein Echo der Vergangenheit? Oder eine Tür in die Zukunft?
Zusammengefasst ist Dirty Diana – Die Reise ein Roman über Zwischenräume – zwischen Nähe und Distanz, Schuld und Sehnsucht, Ich und Wir, zwischen alten Wunden und neuen Möglichkeiten, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Band 2 erzählt von weiblicher Lust, künstlerischer Selbstermächtigung und der zähen, oft verwirrenden Arbeit am eigenen Leben. Und er tut das mit Sinnlichkeit, Tiefe, Klarheit – und viel Mut zur Unvollkommenheit.
Die Erotik ist kein bloßes Beiwerk, kein Effekt, sondern ein Ort, an dem sich Wahrheit zeigt. Hautnah. Wie schon im ersten Band gelingt es dem Autorinnenduo, Sexualität komplex und vielschichtig zu erzählen – als Spiegel innerer Zustände, als Kraft, als Unsicherheit, als Sprache jenseits der Sprache – sinnlich, intensiv, manchmal roh, dabei nie banal. Gefällt mir sehr!
Die Reise ist ein ehrliches, vielschichtiges Buch über das, was zwischen uns liegt – in Beziehungen, in Gesprächen, in Nächten, in Blicken.
Und über das, was in uns liegt, wenn wir es zulassen. Für mich: ein noch stärkerer Band als der erste. Ich bin berührt, inspiriert und mehr denn je gespannt auf den Abschluss der Trilogie. Der Cliffhanger am Ende von Band 2 deutet genau das an, was ich mir insgeheim erhofft hatte. Was da angetickt wird, fühlt sich an wie ein Versprechen – dass es weitergeht – vielleicht sogar neu beginnt?! Ich freu mich riesig auf Band 3.
Dirty Diana – Die Antwort (Band 3 von 3) / von Jen Besser und Shana Feste
In Die Antwort, dem dritten und letzten Teil der Dirty Diana Trilogie von Jen Besser und Shana Feste, geht es um den Versuch, Liebe, Beziehung/Ehe und Freiheit neu zu denken und auch zu leben. Im Zentrum von Diana´s letzter Etappe steht ihre Beziehung zu ihrem Mann Oliver. Die beiden leben getrennt, bleiben aber über ihre Tochter und dem Bemühen, den Alltag gemeinsam zu organisieren und zu gestalten, miteinander verbunden. Beide spüren, dass das Alte sie nicht mehr trägt. Und doch gibt es Momente, in denen sie sich wieder näherkommen und Hoffnung schöpfen für ihre gemeinsame Zukunft. In der Paartherapie, die sie in Band zwei begonnen haben und die sie auch in Band drei fortführen, unternehmen sie ehrliche, vorsichtige Versuche, sich neu zu begegnen und zwar jenseits von Rollen, Erwartungen und Schuld. Beide begreifen, dass es nicht um Perfektion geht, sondern ums Verstehen und um Nähe, die sich nicht nur im Körper, sondern im Mut zeigt, offen füreinander zu bleiben und alles anzusprechen, was einen bewegt, auch wenn es zunächst weh tut oder schamhaft bleibt. Diese Auseinandersetzung und Annäherung fügt sich wunderbar in die Linie der 3teiligen Reihe: nichts wird idealisiert, alles bleibt menschlich, echt, nachvollziehbar und ebenso ernsthaft wie auch witzig. Das gefiel mir sehr gut!
Parallel arbeitet Diana an ihrem künstlerischen Projekt weiter. Was mit den Kassetten und erotischen Interviews begann, entwickelt sich mit der Unterstützung von Figuren aus Band eins und zwei mehr und mehr zu einer Art Unternehmen, das immer größere Kreise zieht und mit dem sie zunehmen erfolgreicher wird. Auch Jasper, ihre alte Liebe, spielt wieder eine Rolle. Doch diesmal geht es nicht um Romantik oder Nostalgie, sondern um Selbstbestimmung: darum, was Diana wirklich will. Auch das gefiel mir wieder sehr gut!
Und dann gab es natürlich wieder eine ganze Menge Erotik, in allen drei Bereichen, die in Band drei zentral stehen: zwischen Diana und Oliver, im künstlerischen Projekt und auch mit Jasper, hier allerdings auf ganz neue Weise Anders als in den ersten beiden Bänden wirkt die Erotik in Band drei reifer und bewusster, irgendwie als Ausdruck einer Lust, die mit Selbstkenntnis und Selbstausdruck zu tun hat, sinnlich, direkt, frei von Klischees. Das hat mir gefallen!
Ich habe das Buch in zwei Tagen ausgelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht, oder besser: wie es endet. Den Abschluss der Trilogie fand ich dann auch sehr gelungen. Die Entwicklungen im dritten Band sind realistisch und sensibel geschildert und fühlten sich dadurch echt an, so wie das Leben eben ist: widersprüchlich, warm, verwirrend, und ebenso schön wie herausfordernd. Es findet sich hier kein Happy End im klassischen Sinn, sondern eher eine Art geerdetes Weitergehen. Und last but not least gab Band drei (mir) genau die Antwort, die ich mir für die ganze Trilogie gewünscht hatte Nice!
Gesamtfazit zur Dirty Diana Trilogie von Jen Besser und Shana Feste
Diese drei Bücher haben mich nicht nur begleitet, sie haben mich regelrecht mitgenommen. Ich habe jeden Band verschlungen und das mit wachsender Begeisterung. Was als vermeintlicher erotischer Roman beginnt, entfaltet sich über drei Teile hinweg zu einer vielschichtigen, klugen und erstaunlich tiefgründigen Erzählung über weibliche Lust, Beziehung, Kreativität und Selbstermächtigung.
Was mich an der Dirty-Diana-Reihe so überzeugt hat, ist ihre Ernsthaftigkeit. Hier wird Erotik nicht als Effekt oder Provokation eingesetzt, sondern als Ausdruck innerer Wahrheit. Lust ist hier kein Selbstzweck, sondern ein Spiegel: für Sehnsucht, für Verletzlichkeit, für Entwicklung. Sexualität wird komplex, widersprüchlich, manchmal schmerzhaft, manchmal beglückend erzählt und immer zutiefst menschlich.
Über alle drei Bände hinweg durfte ich Diana dabei begleiten, wie sie sich verliert, wieder näherkommt und sich neu findet. Wie sie unterwegs alte Rollen abstreift, neue ausprobiert, scheitert, weitergeht. Besonders stark fand ich, dass ihre Entwicklung nie geradlinig oder idealisiert ist. Nichts wird vereinfacht, nichts beschönigt oder beschleuhig. Veränderung braucht Zeit, Gespräche, Konflikte, Mut. Und genau das fühlte sich in dieser Reihe ebenso realistisch wie fesselnd an.
Auch die Art, wie Beziehungen erzählt werden, hat mich sehr berührt: die Ehe, die nicht einfach zerbricht, sondern sich entwirren muss und neu verhandelt wird. Die Liebe, die nicht romantisch verklärt, sondern ehrlich geprüft wird. Alte Verbindungen, neue Möglichkeiten, Nähe und Distanz – alles darf gleichzeitig existieren. Und auch hier bleibt die Reihe konsequent: Es gibt keine einfachen Antworten, aber viele kluge Fragen.
Ein weiterer großer Pluspunkt ist die Verbindung von Lust und Kunst. Dianas künstlerisches Projekt zieht sich wie ein roter Faden durch alle drei Bände und wird zunehmend zu einem Katalysator für Selbstwirksamkeit und schöpferischer Kraft. Lust erscheint hier nicht nur sexuell, sondern auch kreativ – als Hunger nach Lebendigkeit, nach Ausdruck, nach Wahrhaftigkeit. Das fand ich nicht nur stimmig, sondern sehr inspirierend.
Der Abschluss der Trilogie hat mich sehr glücklich gemacht. Kein klassisches Happy End, sondern ein geerdetes, erwachsenes Weitergehen. Genau die Antwort, die ich mir für diese Geschichte gewünscht hatte.
Für mich ist Dirty Diana eine starke, mutige, sinnliche und kluge Trilogie. Eine Reihe, die Lust ernst nimmt, Frauen ernst nimmt und die lange in mir nachhallt. Wirklich gut und eine unbedingte Leseempfehlung!
Einzelbände
Neben den beiden sehr faszinierenden Buchreihen habe ich in diesem Jahr auch einige wenige Einzelbände gelesen. Auf diese gehe ich im Folgenden näher ein.
Happiness von Tina Turner
Vielen von uns ist Tina Turner als Musikerin, genauer gesagt als Sängerin bekannt. Dass sie auch viele Jahre praktizierende Buddhistin war, wissen die wenigsten. Es sei denn du hast ihr Buch Happiness gelesen, denn hier erzählt sie nicht nur sehr persönlich aus ihrem Leben sondern vor allem auch von ihrem spirituellen Weg. Es ist eine Mischung aus spiritueller Autobiographie und spirituellem Ratgeber. Dabei geht es zwar im Kern um den Buddhismus und in dem Zusammenhang sehr konkret um das Mantra und die Technik des Chantings, die Tina Turner viele Jahrzehnte lang praktiziert hat. Aber auch, wenn das Interesse am Buddhismus nicht im Vordergrund stehen, bietet das Buch einige sehr interessante Lebensweisheiten sowie konkrete Inspirationen, das eigene Leben zu reflektieren.
Auf allen Vieren / von Miranda July
Auf allen Vieren ist ein seltsames Buch, ein irres Buch, ein großartiges Buch! Mich hat von der ersten Seite an diese explosive Mischung fasziniert aus Begehren, Macht, Intimität und Identitätsfragen. Die Charakter sind schräg, mutig und verzweifelt. Die Story ist wild und eben so sinnlich wie versaut.
Die Erzählerin ist Mitte vierzig, verheiratet, Mutter, Künstlerin, die sich in einer Sinnkrise und kreativen Schieflage befindet. Sie beschließt daher, sich selbst zum Geburtstag eine Reise nach New York zu schenken, um Abstand zu gewinnen und wieder in Kontakt mit sich und ihrer Kreativität zu kommen. Ein glücklicher Zufall brachte ihr eine unerwartete Stange Geld ein, mit der sie diese Auszeit finanzieren will. Anders als sonst nimmt sie nicht das Flugzeug, sondern plant einen Roadtrip. Zwei Wochen gibt sie sich Zeit um von Malibu aus quer durchs Land nach New York zu fahren, ein paar Tage dort zu bleiben um mit alten Freunden in Kunst und Kultur zu schwelgen und sich dann wieder auf den Rückweg zu begeben. Die Taschen sind gepackt, die Route ist geplant, die Hörbücher für unterwegs liegen bereit.
Sie fährt los, doch weit kommt sie nicht. Bereits an der ersten Tankstelle nehmen die Irrwege ihren Lauf und sie strandet schon am ersten Reisetag nur wenige Meilen von ihrem Wohnort entfernt in einem runtergekommenen Motel. Dort mietet sie sich für die 14 Tage ein und beginnt „aus Gründen“ ihr gesamtes Reisebudger in die luxuriöse Umgestaltung ihres Motelzimmers zu investieren. Mit von der Partie: der etwa 10 Jahre jüngere charmante, etwas rätselhafte Hertz-Mitarbeiter Davey, den die Erzählerin bei ihrem ersten Stop an einer Tankstelle kennenlernte und mit dem sie zwar keinen Sex hat, dennoch eine zutiefst lustvolle, leidenschaftliche Affäre beginnt – und dessen Freundin Claire, eine junge Innenausstatterin – genau, sie ist es, mit der zusammen die Erzählerin das Motelzimmer renoviert. Zwischen Designbesprechungen, subtilen Machtspielen und erotischen Eskalationen entfaltet sich eine irrwitzige, verstörend sinnliche Dreiecksdynamik.
Und das ist nur der Anfang! Denn das Buch ist nicht einfach nur eine Dreiecksgeschichte. Weit gefehlt. Es geht um viel mehr: um Begehren, Selbstbehauptung, Einsamkeit, Macht – und es geht um den Alltag in der Ehe und den schmalen Grad zwischen Vertrauen, Intimität und Nähe auf der einen sowie Langeweile und Gewohnheit auf der anderen Seite – und darum, wie schwer es manchmal ist, zu wissen, was man wirklich will, oder wer man eigentlich ist. Das Buch kommt einer Erkundungstour gleich von weiblicher Lust im allgemeinen und von Frauen im speziellen, die sich kurz vor, mitten in oder auch schon jenseits der Menopause befinden – diesem Schreckgespenst, dem sich die Autorin auf ihre ganz eigenwillige, humorvolle, teilweise absurde Art und Weise annähert.
Miranda July erzählt radikal ehrlich, schräg, poetisch und tief erotisch von weiblichem Begehren, Identität, Kunst, Ehe und den Grenzen (und Möglichkeiten) von Intimität und Selbstverwirklichung. Auf allen Vieren ist ein außergewöhnlicher und mutiger Roman
Was mir besonders gefallen hat: die Erotik. Sie ist ebenso subtil wie roh und ungeschönt – und genau deshalb so kraftvoll, denn sie zeigt, wie komplex weibliche Lust in den verschiedensten Altersstufen und Lebenslagen innerhalb des Frauseins sein kann und wie wenig gerecht ihr die angestaubten Konzepte werden, die in unserer Gesellschaft, und damit auch in Literatur und Film noch immer vorherrschen. Auf allen Vieren von Miranda July ist ein Buch, das diesbezüglich neue Wege beschreitet und dabei nicht gefallen will – und mir gerade deshalb so gut gefallen hat!
Die Schlange von Essex – von Sarah Perry
Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen – und bin dann zwischendrin hängen geblieben – trotzdem ein gutes Buch!
Worum es geht:
London im Jahr 1893. Die junge Witwe Cora Seaborne, neugierig, unabhängig und naturwissenschaftlich interessiert, zieht mit ihrem Sohn und einer Kinderfrau/Freudnin nach Essex. Dort hört sie von einer sagenumwobenen „Schlange“, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Zwischen Aberglaube, Wissenschaft und religiösem Glauben entsteht ein Spannungsfeld, das sich nicht nur in der Dorfgemeinschaft, sondern auch in Cora selbst widerspiegelt. Zentral ist dabei ihre Beziehung zu William Ransome, dem Dorfpfarrer: eine Verbindung voller intellektueller Funken, Gegensätze, Nähe – und Grenzen?!
Die Höhen des Buches:
Die Sprache ist bildgewaltig, atmosphärisch, sehr fein gearbeitet. Man spürt die Stimmung des viktorianischen Englands: Nebel, Sümpfe, Dorfgassen, die Enge Londons, die Weite von Essex. Sarah Perry schafft es, Natur, Wissenschaft und Glaube kunstvoll miteinander zu verweben und Figuren zu zeichnen, die komplex und ambivalent sind. Besonders spannend fand ich den Dialog zwischen Rationalität und Aberglaube, die Frage, woran Menschen glauben, wenn sie nach Halt suchen.
Die Tiefen:
So dicht und atmosphärisch die Sprache ist, so schwerfällig wird mitunter die Story. Ganze Passagen ziehen sich und ich hatte das Gefühl, im Sumpf von Essex nicht nur die Schlange, sondern auch die Lust am Lesen zu verlieren. Für meinen Geschmack wurde es an einigen Stellen schlicht zu langatmig. Zwischendurch hab ich hier und da einfach mal ein paar Zeilen, Abschnitte, sogar Seiten überschlagen, um für mich langweilige Stellen zu umgehen, denn was das ein oder andere betrifft, würde ich schon gerne wissen, wie es weitergeht. Letztlich hat mich das ganze dann aber einfach nicht genug in den Bann gezogen.
Mein Fazit:
Im Grunde fand ich das Buch gut – die Idee, die Atmosphäre, die Figuren. Aber ich bin unterwegs versumpft und habe es nicht zu Ende gelesen. Vielleicht starte ich irgendwann nochmal einen neuen Anlauf. Denn die Qualitäten sind da – dennoch ist mein Lesefluss unterwegs ins Stocken geraten.
Wie siehts denn bei dir aus? Was war dein größter Lesegenuss in diesem Jahr? Schreibs mir gerne in die Kommentare! Ich freu mich von dir zu hören bzw zu lesen!

